Das Urteil des Karlsruher Gerichts: Der Donnerschlag, der den Horizont verdunkelt?
In seinem Urteil vom 5. Mai 2020 stellte das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Bedingungen in Frage, unter denen die Europäische Zentralbank (EZB) ein Ankaufprogramm für den öffentlichen Sektor (Public Sector Purchase Program, PSPP) verabschiedet hat die der Gerichtshof der Europäischen Union (EUGH) im gleichen Fall eingenommen hatte.

Diese Gerichtsentscheidung erfuhr großen Wiederhall in der Presse and in Wirtschaftskreisen, weil sie als eine Infragestellung der Quantitative Easing Politik der EZB angesehen werden konnte. Und das insbesondere zu einem Zeitpunkt, wo letztere die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie abzufedern versuchte.
Auf einer politischeren Ebene hat das deutsche Verfassungsgericht entschieden, die Entscheidung des EUGH nicht zu befolgen. Dies lieβ Befürchtungen aufkommen, dass die Uniformität des europäischen Rechts infrage gestellt werden könnte, und dass andere Mitgliedsstaaten diese Entscheidung in Angelegenheiten der Achtung der Menschenrechte bei denen sie sich der EU entgegenstellen, zu ihren Gunsten nutzen.
Auch muss der deutsch-französische Schulterschluss zur Begründung eines europäischen Wiederaufbauplans, der auf den 18. Mai 2020 zurückgeht und auf Basis dessen sich der Europäische Rat am 21. Juli 2020 einigte, begrüßt werden. Ein solcher Plan ermöglicht es den Mitgliedsstaaten den wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen wieder Herr zu werden, während sich die EZB nunmehr auf ihre monetären Aufgaben entsprechend den Gründungsverträgen keren.
David Capitant est Professor an der juristischen Fakultät der Sorbonne (Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne - ISJPS) und Direktor des deutschen Rechtszentrums des Forschungszentrums (UMR) für Rechtsvergleichung à Paris. Er war Präsident der Deutsch-Französischen Hochschule (2018-2020).
Diese Publikation ist auf Französisch verfügbar: L'arrêt de la Cour de Karlsruhe: un coup de tonnerre dans un ciel serein ? (pdf)
Verwandte Zentren und Programme
Weitere Forschungszentren und ProgrammeMehr erfahren
Unsere VeröffentlichungenFriedrich Merz und die „Zeitenwende 2.0“: eine „neue Ära“ für die transatlantischen Beziehungen?
Am 23. Februar 2025 waren fast 60 Millionen Wähler aufgerufen, einen neuen Bundestag zu wählen. Diese Wahlen werden auch eine neue Regierung in der größten Volkswirtschaft Europas hervorbringen.
Nach den Wahlen: Deutschland auf der Suche nach erschütterter Stabilität?
Mit einer Wahlbeteiligung von 82,5 % hat Deutschland die höchste Beteiligung seit 1987 verzeichnet – ein Anstieg um 6,1 Prozentpunkte im Vergleich zu 2021. Wie schon damals hat die hohe Wahlbeteiligung vor allem der Alternative für Deutschland (AfD) genutzt, die viele frühere Nichtwähler mobilisieren konnte. Viele Wähler wollten mit ihrer Stimme die scheidende Regierung abstrafen, deren Zustimmung vor dem Bruch der Koalition im November 2024 nur noch bei 14 % lag. Deutschland steuert nun aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD zu – die Sondierungsgespräche haben am 28. Februar begonnen.
Wartet Frankreich auf Friedrich Merz?
In den vergangenen Wochen hat sich Friedrich Merz wiederholt für eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit ausgesprochen. Wie viel Veränderung könnten seine Appelle tatsächlich bewirken?
Bündnis 90/die Grünen als Bündnispartei? Das Ende einer Illusion
Auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden im November 2024 kürten die Delegierten Robert Habeck zum Kanzlerkandidaten für die vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar 2025. Die vor fünfundvierzig Jahren gegründete Protestpartei ist heute fest in der deutschen politischen Landschaft etabliert. Nach dem Zusammenbruch der Ampelkoalition setzen die Grünen auf einen personalisierten Wahlkampf und bedienen einen optimistischen Diskurs, der auf die Gewährleistung eines guten, sozialen und gerechten Lebens ausgerichtet ist.